Im Rahmen der Bolivien-Partnerschaftswoche 2024 war Herbert Irahola aus La Paz zu Gast in Linz / Rhein. Er berichtete über die aktuelle Situation in Gesellschaft und Kirche Boliviens. Prof. Dr. Rochus Allert, Peter Gillrath (Eine-Welt-Laden Linz) und Christoph Hof (Pastoralreferent Pastoraler Raum Neuwied) hatten den Abend mit Gottesdienst, Vortrag und Begegnung in der Linzer St.-Martin-Kirche vorbereitet. Beate Zwick (AK Bolivien im Pastoralen Raum Neuwied) fungierte als Dolmetscherin.
Weltkirche
Bolivien-Abend in Linz mit Herbert Irahola aus La Paz
Herbert Irahola von der Fundación Jubileo in la Paz
Herbert Irahola arbeitet in La Paz für die Fundación Jubileo, eine politische Stiftung in kirchlicher Trägerschaft. Die Stiftung veröffentlicht unter anderem zur Situation der Menschenrechte, fossilen und erneuerbaren Energien, Auslandsverschuldung und Umweltschutz und bietet Bildungsveranstaltungen an. Sie ist Teil der Partnerschaft zwischen der Bolivianischen Kirche und den deutschen Diözesen Trier und Hildesheim.
Schwerpunktthema von Herbert Irahola, der seit vielen Jahren bei der Fundación Jubileo arbeitet, ist neben den Themen Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft die politische Bildung für junge Menschen.
Zur aktuellen Situation in Bolivien
Politisch befindet sich Bolivien aktuell in einer umfassenden Krise.
Nur 20% der Bevölkerung hat Vertrauen in die politischen Parteien (Latinobarómetro 2020); nur 25% in die Justiz. Die Korruption in schwachen Institutionen ist hoch: im Korruptionswahrnehmungsindex (Transparency International 2021) liegt Bolivien auf Platz 128 von 180 Ländern. Ausgeprägte Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anhängern der regierenden MAS-Partei und der Opposition führen zu einer starken Polarisierung der Bevölkerung. 70% nimmt das Land als gespalten wahr (Encuesta de Opinión Pública 2021).
Boliviens Wirtschaft ist abhängig vom Extraktivismus.
Der Sektor stellt 15% des Bruttoinlandsprodukt und 70% der Exporte. Weil der Export fossiler Brennstoffe stark abgenommen hat, droht die Rückkehr der Armut. Schon während der Coronapandemie-ist die Armutsquote von 34% (2019) auf 39% (2020) gestiegen. Manche Bolivianer*innen befürchten, dass die zur Zeit noch moderate Inflation steigen könnte.
Statt weiterhin auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu bauen, die nicht nur im Fall des Goldabbaus zu großen Umweltschäden führt, braucht Bolivien Alternativen für eine nachhaltige Entwicklung: „grüne Wirtschaft“ (Erneuerbare Energien, nachhaltiger Tourismus), wirtschaftliche Diversifizierung und Schutz der Umwelt (Emissionen reduzieren und Ökosysteme erhalten).
Fast die Hälfte der ungefähr 11,8 Millionen Einwohner Boliviens ist unter 25 Jahre alt.
7 von 10 jungen Menschen leben in der Stadt, vor allem in den großen Metropolregionen Santa Cruz (jährliches Bevölkerungswachstum von 2.5%), La Paz und El Alto (zusammen ungefähr 2 Millionen Einwohner) und Cochabamba (1.3 Millionen Einwohner). Die Tendenz der Land-Stadt-Migration hat sich in den letzten 2 Jahrzehnten beschleunigt.
Die Alphabetisierungsrate der 15-24 Jährigen ist in den letzten Jahren auf 99% gestiegen. 85 % der Schüler*innen besuchen eine weiterführende Schule. Allerdings ist der Übergang in eine gesicherte berufliche Zukunft schwierig. Nur 25% der jungen Menschen haben Zugang zu Arbeitsplätzen mit sozialer Absicherung. Im informellen Sektor arbeiten 75% der Bevölkerung.
Dementsprechend sind 75% der jungen Bolivianer*innen besorgt wegen fehlender Jobmöglichkeiten und um die wirtschaftliche Stabilität.65% der jungen Menschen machen sich Sorgen wegen des Klimawandels und um die Umwelt. 60% zeigen Misstrauen in die politischen Institutionen und in Wahlprozesse.
Bolivien gehört zu den 10 Ländern weltweit mit der größten Biodiversität.
Das Land erstreckt sich über drei Vegetationszonen: die kalte Hochlandzone der Andenregion und dem Altiplano in Höhen von über 3.000 Metern, den gemäßigten Hochtälern („Valles“) und den tropischen Tiefland.
Bolivien gehört zu den vom Klimawandel stark betroffenen Ländern.
Die durchschnittliche Temperatur erhöhte in den letzten Jahrzehnten um 0.5°C. Von Überschwemmungen und Dürren waren zwischen 2015 und 2020 mehr als 300.000 Menschen betroffen.
Allein in diesem Jahr wurden in Bolivien vier Millionen Hektar Wald durch Brände vernichtet. Das entspricht ungefähr der doppelten Größe der Schweiz. Die Waldbrände betreffen vor allem das bolivianische Tiefland, am stärksten die Departemente Santa Cruz und Beni. Die Regierung hat im September 2024 deshalb den nationalen Notstand ausgerufen.
Diözesankonferenz Weltkirche und globales Handeln 2024
Bolivienpartnerschaftswoche 2024: "Mit Bildung Zukunft gestalten"
Im Mittelpunkt der Bolivienpartnerschaftswoche 2024 stand das Thema "Bildung", aufgeteilt in die drei Unterthemen "Politische Bildung", "Umweltbildung" und "Zugang zu Bildung". Herbert Irahola und die Fundación Jubileo können in Bolivien dazu wirksam arbeiten, weil die katholische Kirche Boliviens großes Vertrauen bei der Bevölkerung genießt. Im Gespräch wurde deutlich, dass die drei Unterthemen auch in Deutschland relevant sind: Welche Möglichkeiten haben die Menschen in Bolivien und Deutschland, sich politisch oder zu Umweltfragen und Klimakrise zu bilden? Wie geht kritische und faktenbasierte Bildungsarbeit mit Jugendlichen? Wie sind die Zugangsmöglichkeiten zu Bildung? Sind wir in Deutschland so viel besser aufgestellt, oder was können wir voneinander lernen?
In "himmelwärts und erdverbunden - dem Podcast aus dem Bistum Trier“ spricht Stefan Weinert über diese gemeinsamen Herausforderungen der Bildungsarbeit in Bolivien und Deutschland mit Katharina Nilles, der Bolivienreferentin im Bistum Trier.
Weitere Informationen
AK Bolivien im Pastoralen Raum Neuwied, c/o Pastoralreferent Christoph Hof
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